Die Ukraine und die Schweizer Agrarpolitik - oder wie internationale Ereignisse die Debatte prägen werden
Kein Podcast heute, dafür ein kurzer Medienspiegel über den Ukraine-Konflikt und ein Überblick , wie der Krieg die Debatte in der Schweiz beeinflusst.
12. März 2022 | Spezial-Newsletter
👋 Guten Morgen
Kein Podcast heute, dafür ein Versuch, die Flut an Informationen zur Ukraine-Krise der letzten zwei Wochen etwas zu kanalisieren. Denn was da alles Zusammenkommt (tiefe Lagerbestände, hohe und steigende Energie- und Düngerpreise, fehlendes Saatgut), erfüllt alle Voraussetzungen für einen perfekten Sturm. Schön, dass Sie da sind, trotz den etwas düsteren Zeiten✨.
Ukraine-Konflikt, Landwirtschaft und Medien
Zwei Tage nach der russischen Invasion in der Ukraine folgten die ersten Meldungen über den steigenden Weizenpreis. In der Zwischenzeit ist der Preis an der Börse auf über 400 Franken pro Tonne Weizen geklettert (In der Schweiz liegt der Richtpreis für Weizen Top derzeit bei 520 Franken/Tonne). Nur 2008 lag der Börsenpreis mit bis zu 465 Franken je Tonne noch höher.
Der Modern Farmer beleuchtete Anfang Woche die Wirkung des Ukraine-Kriegs auf die US-amerikanische Landwirtschaft und kommt zum wenig überraschenden Schluss, dass mit weltweiten Auswirkungen zu rechnen ist, weil Weizen fehlt und weil Dünger noch teurer wird und weil noch nicht sicher ist, ob die höheren Kosten mit den höheren Preisen kompensiert werden könnten.
“die grüne” zeigt in diesem Artikel, dass 25 Prozent der ukrainischen Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sind, dass die Ukraine 20 Prozent des auf dem Weltmarkt gehandelten Raps und Mais anbietet, bei Raps und Sonnenblumen-Öl Weltmarktführer ist und rund 3 Millionen Tonnen Getreide nach Ägypten liefert, und wie Ackerbauern und Tierhalterinnen mit dem Konflikt umgehen (müssen).
Der Tagesanzeiger titelt am Donnerstag: So dramatisch sind die Folgen des hohen Weizenpreises und beleuchtet, wie erste Länder aus Angst vor Nahrungsknappheit Handelsbeschränkungen verhängen und so bei Getreideimportierenden Nationen die Angst vor massiven Preissprüngen (und Hunger) aufkommen lassen1.
Die Nachrichtenagentur Reuters schreibt am Donnerstag, dass die ukrainische Regierung die Schaffung eines Lebensmittellagers plant, das gross genug sein soll, um die Bevölkerung und die Streitkräfte des Landes während der russischen Invasion zu ernähren. Der Staat will dafür Getreide und andere Vorräte in Höhe des Jahresverbrauchs kaufen; weitere Details zu Programm und Umsetzung wurden nicht genannt.
Die BauernZeitung zeigt, wie der pensionierte Landwirt Peter Murri mit seinem Hilfswerk Estherdebora im Westen der Ukraine mit Lebensmittel-Lieferungen Hilfe leistet.
Das Magazin Foreign Affairs geht in diesem Artikel der Frage nach, wie der Krieg in der Ukraine noch schlimmer werden könnte. Dann nämlich, wenn sich die Kriegsparteien gegenseitig in einen Teufelskreis der (militärischen) Eskalation manövrieren. Die Autorin plädiert dafür, einen direkten militärischen Schlagabtausch zwischen Russland und den Nato-Bündnispartnern zu vermeiden. Denn “the only thing more tragic than the present war would be an even bigger, bloodier one.”
Debatte in der Schweiz
Der Krieg in der Ukraine hat die Menschen in der Schweiz an verschiedenen Friedensdemonstrationen auf die Strasse gebracht. In der politischen Arena wurde über die Umsetzung der helvetischen Neutralität gestritten (etwa in der Arena) und dem Komitee “Stop F-35” empfohlen, ihre Unterschriftensammlung gegen die Kampfjet-Beschaffung zu stoppen.2
Landwirtschaftlich publizierte die BauernZeitung zwei Tage nach dem Russischen Angriff eine erste kurze Übersicht. Darin sagte Markus Ritter der BauernZeitung: «Über allfällige Auswirkungen auf uns – in unserem sicheren Land – zu reden, finde ich nicht angebracht. Im Moment sind unsere Gedanken bei den Opfern des Krieges».
In der Zwischenzeit sind im Parlament bereits erste Fragen eingereicht worden (derzeit tagt die Frühlingssession): Die SVP-Nationalrätin Esther Friedli will wissen, ob die Agrarpolitik neu ausgerichtet und der Selbstversorgungsgrad gesteigert werden sollte und ob die Entwicklungszusammenarbeit stärker auf Landwirtschaftliche Produktivität auszurichten sei, Parteikollege Alois Huber fragt, ob der Bundesrat Massnahmen ergreift, um den "Selbstversorgungsgrat (sic!) bei Lebensmitteln anzuheben". Und sein Thurgauer Ratskollege Manuel Strupler will wissen, ob die Versorgungssicherheitsbeiträge innerhalb der Direktzahlungsverordnung erhöht werden könnten, um den Selbstversorgungsgrad zu stärken und wie der Bundesrat grundsätzlich die Landesversorgung sichern will.
Deutsche und französische Bio-Spitzenverbände warnen “vor dem Risiko, den zaghaft begonnen Umbau der Landwirtschaft zu opfern und Abhängigkeiten zu verschärfen.”
Diese Statements mögen harmlos erscheinen, sie prägen aber die Stimmung, wenn im Frühling die Verordnungen zum Absenkpfad publiziert und im Herbst das weitere Vorgehen der Agrarpolitik 2022+ im Parlament beraten wird.
Internationale Agrarpolitik: Märkte offenhalten
Am 11. März haben sich die Agrarminister der sieben grössten Volkswirtschaften der Welt auf dieses gemeinsame Statement verständigt.
Unter Punkt 4 heisst es: “We are deeply concerned about the impacts on food security and the rising number of people suffering from hunger and all forms of malnutrition, caused by the unprovoked and unjustifiable Russian war of aggression, adding to the already severe situation caused by COVID-19, climate change and biodiversity loss.”
Die Landwirtschaftsminister wollen alles unternehmen, um den “flow of food, products, seasonal labour and inputs essential for agricultural and food production across borders” zu sichern.
Und sie rufen alle Länder auf, ihre Agrarmärkte offen zu halten “and to guard against any unjustified restrictive measures on their exports.”
Soviel für den Moment von uns. 🙏 Danke fürs Interesse und schönes Wochenende 👋.
p.s.: sehr wahrscheinlich werden wir unsere nächste Staffel den Auswirkungen der Situation in der Ukraine auf die Agrarwirtschaft in Europa widmen.
Agrarpolitik - der Podcast
Agrarpolitik wird von vielen Menschen umgesetzt und gemacht: von Landwirtinnen und Landwirten, von Verbandsvertreterinnen und -Vertretern, vom Bundesrat, von Parlamentarierinnen und Parlamentariern.
Im Agrarpolitik-Podcast beleuchten wir die Entwicklungen, zeigen Ansprüche und Handlungsachsen. Wir fragen nach - und hören zu und machen Agrarpolitik verständlich. Und wir schreiben hin und wieder Newsletter zu aktuellen Themen.
Wir sind: Sie, unsere Gäste, Andreas Wyss (Gespräche), Lisa Nagy (Social Media), Louisa Wyss (Webinare) und Hansjürg Jäger (Produktion).
p.s: Hier finden Sie alle bisherigen Podcast-Folgen von Agrarpolitik - der Podcast.
Die Ägyptische Regierung will übertrieben hohe Preise unbedingt vermeiden.
Der Hinweis sei erlaubt: Die Kreise, die jetzt die Abhängigkeit der Schweiz lamentieren, stimmen gerne gegen Bestrebungen zu mehr Unabhängigkeit. So geschehen beim CO2-Gesetz, bei der Initiative für Ernährungssouveränität (auch wenn diese politisch sehr (zu?) weit gehen wollte).