Agrarpolitik mit Esther Friedli und Meret Schneider: Zwei politische Perspektiven auf die Massentierhaltungs-Initiative
Der Abstimmungstermin für die Massentierhaltungs-Initiative ist offen, die Argumente liegen auf dem Tisch. Unser Gespräch mit Esther Friedli (SVP/SG) und Meret Schneider (GPS/ZH).
16. April 2022 | Staffel 5, Folge 5
👋 Guten Morgen und willkommen zurück zur fünften Staffel Agrarpolitik - der Podcast✨
Heute wird’s politisch: wir diskutieren die Massentierhaltungs-Initiative und die wichtigsten Argumente dafür und dagegen.
Im Gespräch sind Meret Schneider und Esther Friedli. Beide sitzen im Nationalrat - Schneider für die Grüne Partei, Friedli für die Schweizer Volkspartei. Beide sind in der Gastronomie tätig, beiden liegt das Tierwohl am Herzen. Schneider ist Mitinitiantin der Massentierhaltungs-Initiative, Friedli ist Teil des Nein-Komitees.
Schön, sind Sie da 🤩. Hier gehts direkt zum Podcast, unten finden Sie die wichtigsten Aussagen.
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Es besteht (kein) Handlungsbedarf
«Den Tieren in der Schweiz geht es je nach Standort und Betrieb sehr gut oder sehr schlecht», sagt Meret Schneider zu Beginn. Sie meint, dass es den Rindern in der Schweiz gar nicht so schlecht geht. «Aber es gibt auch eine grosse Anzahl Tiere – wie Schweine oder Geflügel – denen es nicht so gut geht, die nie den freien Himmel sehen.»
Für Esther Friedli ist indes klar, dass es den Schweizer Nutztieren «sehr gut» gehe. Die Schweiz kenne eines der strengsten Tierschutzgesetze der Welt. Und «die Bauernfamilien haben einen grossen Bezug zu ihren Tieren und schauen, dass es ihnen gut geht.»
👉Was die Massentierhaltungs-Initiative möchte
Die Massentierhaltungsinitiative möchte Artikel 80a der Bundesverfassung ändern. Demnach soll der Bund die Würde des Tieres in der landwirtschaftlichen Tierhaltung schützen. Dazu gezählt wird auch der Anspruch, nicht in Massentierhaltung zu leben. Der Bund soll Kriterien für eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse je Stall festlegen. Ausserdem soll er dafür sorgen, dass die Importe von Tieren und tierischen Erzeugnissen den Anforderungen Rechnung tragen.
Für die Umsetzung halten die sogenannten Übergangsbestimmungen fest, dass der Bund Übergangsfristen von bis zu 25 Jahren vorsehen kann. Ausserdem müsse die Ausführungsgesetzgebung mindestens den Anforderungen der Bio-Suisse-Richtlinien von 2018 entsprechen.
👉 Hier geht es zu den Argumenten des Initiativkomitees
👉 Hier finden Sie die Argumente der Gegner der Massentierhaltungsinitiative
(Freiwillig) höhere Standards sind nötig
Wie Meret Schneider sagt, will die Initiative die Standards für die Tierhaltung so anheben, dass alle Tiere Zugang ins Freie haben und weitestgehend ihre natürlichen Bedürfnisse ausleben können und nicht hochgezüchtet werden. Für sie ist auch klar, «dass Bauern dafür entschädigt werden.»
«Die Initiative will, dass in der Schweiz für die tierische Produktion das Biolabel Standard wird», meint Esther Friedli. Sie weist darauf hin, dass schon heute freiwillig höhere Tierwohl-Standards zur Anwendung kommen. Geregelt werde das vom Markt. «Die Initiative schiesst über das Ziel hinaus», so Friedli.
Meret Schneider präzisiert, dass die Richtlinien von Bio-Suisse als Orientierungsrahmen dienen. Sie sollen sicherstellen, dass eine standortgerechte Produktion möglich ist, die auch tiergerecht ist.
(Kein) Eingriff in die Konsumgewohnheiten
Esther Friedli zitiert die im Initiativtext vorgesehene Ausrichtung. Für Sie ist klar, dass die Initiative die tierische Produktion senken und Konsumgewohnheiten ändern will. «Ihr möchtet, dass wir uns alle vegetarisch und vegan ernähren», sagt Friedli.
«Das ist Blödsinn» erwidert Meret Schneider. Ziel der Initiative sei die standortgerechte Tierproduktion. Sie habe nichts gegen die graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion mit Wiederkäuern. «Was wir tatsächlich reduzieren wollen, ist die grosse Zahl der Monogastrier.» Von einer Veganisierung der Landwirtschaft könne aber nicht gesprochen werden, sagt Schneider.
Die Initiative ist (nicht) vereinbar mit internationalem Recht
Die Initiative will, dass die Bestimmungen auch für importierte Produkte gelten. Wie Meret Schneider sagt, sei das auf jeden Fall mit den Vereinbarungen der WTO kompatibel – ein Land könne Importe strenger regulieren, wenn Importprodukte der öffentlichen Moral einer Gesellschaft widersprächen. Eine Zustimmung zur Initiative würde diese Grundlage schaffen.
Esther Friedli zweifelt, ob die Initiative umsetzbar ist. «ich frage mich, wie man so etwas kontrollieren kann.» Ausserdem würde sich Schweiz mit einer Zustimmung den WTO-Bestimmungen widersetzen und eine Klage riskieren. «Wir können nicht einseitig sagen, wir importieren nur Fleisch gemäss den Richtlinien, wie wir sie bei uns haben», so Friedli.
Die Gesetzgebung ist (zu wenig) streng
Esther Friedli weist auf die Höchstbestandesverordnung der Schweiz hin. «Wir haben Vorgaben, wie viele Legehennen, wie viele Schweine, wie viele Kälber in einem Stall leben dürfen», sagt sie. Im Ausland sei das anders, «da muss man die Relationen sehen», so die SVP-Politikerin. Sie sei froh, dass die Tierschutzvorgaben in der Schweiz streng sei. Die Initiative schiesse aber über das Ziel hinaus, eine weitere Verschärfung der gesetzlichen Grundlagen untergrabe die Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Landwirtschaft, erschwere unnötig die landwirtschaftliche Produktion.
Meret Schneider sieht in der Initiative eine grosse Chance. Mit der Initiative würden Importe von ungarischem oder brasilianischem Geflügelfleisch oder südamerikanischem Rindfleisch unterbinden. «Wenn es zu einer Importschwemme kommt, kann die Schweizer Landwirtschaft intensivieren, wie sie will, sie wird nie konkurrenzfähig sein», sagt sie. Deshalb will die Initiative an die Importprodukte die gleichen Anforderungen stellen, wie an die im Inland produzierten.
Versorgungssicherheit wird (nicht) gefördert
«Ich frage mich, wie wir eine stärker wachsende Bevölkerung satt bekommen.», sagt Esther Friedli. Sie befürchtet mehr Importe, wenn die inländische Produktion gedrosselt wird – ihrer Meinung nach entspricht das weder den Zielen für die Landwirtschaft noch den Ansprüchen der Konsumentinnen und Konsumenten. Letztere essen wieder etwas mehr Fleisch, die Initiative liegt laut Friedli deshalb völlig quer in der Landschaft; Bauernfamilien sollen das produzieren können, was auch gefragt werde.
Die Initiative würde laut Meret Schneider zur Versorgungssicherheit beitragen. «Die heutigen Tierbestände benötigen 1,2 Mio. Tonnen Futtermittel, das importiert wird. Das sind Abhängigkeiten vom Ausland, die gar keinen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.» Für sie ist klar: «Versorgungssicherheit bedeutet, möglichst aus unserem Boden das zu produzieren, was unser Boden hergibt.» Das sei Fleisch von Weidetieren, Milch und Käse. «Aber im Flachland und in Regionen, wo Ackerkulturen für die menschliche Ernährung angebaut werden können, müssen wir das auch tun.», sagt Schneider.
Der Konsument willkann sich das (nicht) leisten
Bei der Frage, ob sich die KonsumentInnen teurere Produkte leisten wollen (oder können) treibt auch Friedli und Schneider um. Für Friedli ist klar, dass die Massentierhaltungs-Initiative die Produktion und damit auch die Produkte verteuert, «was sich nicht alle Menschen leisten können. Das wird dazu führen, dass der Einkaufstourismus befeuert wird», sagt sie.
Meret Schneider widerspricht. «Immer wenn etwas beim Tierwohl oder den Anforderungen an die Lebensmittel verändert wird, kommt das Schreckgespenst. Das war bei den Käfigeiern schon so. Es ist nichts passiert. Migros hat sämtliche Bodenhaltungseier aus dem Sortiment gekippt und bietet nur noch Freilandeier an. Freilandeier erfreuen sich grösster Beliebtheit.»
Untauglicher Gegenvorschlag
Der Gegenvorschlag des Bundesrates fiel durch – im Parlament, weil die Mehrheit in National- und Ständerat keinen Handlungsbedarf im Bereich des Tierschutzes sieht. Die InitiantInnen erteilten dem Gegenvorschlag eine Abfuhr, weil er die Importvorschriften ausgeklammert hat, was zu einem unverhältnismässig hohen Importdruck führen würde.
Meret Schneider möchte Hand bieten für konstruktive Diskussionen. Sie freut sich auf Kritik, Feedback und Dialog. «Das wichtigste in der Agrarpolitik ist, dass wir den direkten Austausch und Einblicke in die Lebenswelt des Anderen suchen», sagt sie.
Esther Friedli betont, wie unnötig die Massentierhaltungs-Initiative ist, weil die Schweiz das strengste Tierschutzgesetz der Welt hat, Höchstbestände und Labelangebote mit Anreizprogrammen mit einem guten Kontrollsystem verbindet. «Vor diesem Hintergrund braucht es die Initiative nicht.»
Soviel für den Moment von uns. 🙏 Danke fürs Interesse und schönes Wochenende 👋.
Agrarpolitik - der Podcast
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