Agrarpolitik mit Eve-Marie Engels: „Wir sollten Tiere einfach leben lassen."
Die Philosophin Eve-Marie Engels erläutert im Gespräch tierethische Grundsatzpositionen, den richtigen Umgang mit Tieren aus ethischer Sicht und daraus resultierenden Grenzen der Nutztierhaltung.
12. Februar 2022 | Staffel 5, Folge 3
👋 Guten Morgen und willkommen zur dritten Ausgabe der fünften Staffel Agrarpolitik – der Podcast✨
Heute gehen wir mit Eve-Marie Engels, Professorin für Ethik in den Biowissenschaften an der Universität Tübingen (von April 1996 bis Oktober 2017), philosophisch-ethischen Überlegungen zur Nutzung und Haltung von Tieren auf den Grund. Ein Gespräch über den richtigen Umgang mit Tieren, warum empfindungsfähige Wesen besonderen Schutz benötigen, wo die Grenzen der Nutzung liegen und welche ethischen Grundpositionen im Diskurs vertreten werden.
Hier geht’s direkt zum Podcast, unten haben wir die wichtigsten Aussagen zusammengefasst.
Eve-Marie Engels wurde während ihren Ethik-Vorlesungen klar, dass sie selbst kein Fleisch mehr essen sollte. Das war 1990. Seither lebt sie vegetarisch.
„Tiere sind keine Automaten, wie man das früher gedacht hat“
Eve-Marie Engels hält die Haltung von Haustieren aus tierethischer Sicht für vertretbar. Allerdings „muss man Tiere als Lebewesen ernst nehmen, die Bedürfnisse haben und sich freuen können, die Ängste haben, die Schutz und Freiheitsspielräume benötigen“, so die Ethikerin. So kann sie auch mit einer gewissen Zufriedenheit feststellen, dass sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Tiere keine Automaten sind.
Wie Eve-Marie Engels ausführt, sind Tiere empfindungsfähige Lebewesen, die ein Recht auf eine angemessene Behandlung haben. „Deshalb müssen wir mit Nutztieren anders umgehen, als dies häufig geschieht. Wir haben ihren Eigenwert anzuerkennen und diesen mit allen Konsequenzen zu respektieren. Und mit Blick auf diesen Eigenwert der Tiere müssen wir die Nutztierhaltung gestalten“, sagt die Ethikerin. Sie meint damit nicht den Marktpreis, sondern den Wert, der ein Lebewesen um seiner selbst Willen hat.
„Wir sollten Tiere einfach leben lassen“
Massentierhaltung und Nutztierhaltung sind für Eve-Marie Engels zwei unterschiedliche Konzepte. Die Nutztierhaltung beinhaltet häufig eine Massentierhaltung. „Aber nicht jede Nutztierhaltung muss eine Massentierhaltung sein“, sagt sie. Denn es wäre möglich, weniger Tiere zu halten.
Die Nutztierhaltung beschreibt Engels in einem früheren Beitrag als vertretbar, wenn Tiere die fünf Freiheiten ausleben können, die von der Welttierschutzgesellschaft formuliert wurden
.Im Gespräch relativiert sie das allerdings – denn „eigentlich möchte ich gar nicht, dass es Nutztiere gibt.“ Engels ist sich ihrer radikal klingenden Forderung bewusst, wenn sie sagt: „Wir sollten Tiere einfach leben lassen.“ Das ermöglicht die Nutzung von Milch und Eiern, schliesst aber die Tierhaltung zur Fleischgewinnung aus. Diese ist laut Engels ethisch nicht vertretbar; „Wir haben Tiere schlicht nicht zu töten.“
Der Mensch ist in der Lage, die zeitliche Dimension seines Daseins zu erfassen und sein Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen und anderen Lebewesen zu reflektieren. Daraus ergeben sich Fragen nach den persönlichen Freiheiten, der Stellung des Menschen in der Natur, moralischen Grundsätzen des Zusammenlebens und einem Sinn des Lebens (das schreibt Wikipedia). Diese besonderen Eigenschaften geben dem Menschen eine Sonderstellung in der Natur. „Dies ist aber nicht im Sinne einer Qualifikation zu verstehen, dass wir alles richtig machen“, ergänzt Engels. Keine andere Spezies sei in der Lage, derart brutale Tötungsmaschinen herzustellen, wie der Mensch es vermag. Eve-Marie Engels führt aus, dass es keinen Grund gibt, Tiere zu töten, „nur weil sich in der Natur Tiere auch gegenseitig umbringen. Dies kann in ethischer Hinsicht kein Argument sein.“
Vier verschiedene Grundpositionen in der Debatte
Die Diskussion über ethisch-moralische Grenzen des Umgangs mit Tieren und der Tierhaltung wurde schon im frühen 20. Jahrhundert geführt – damals bereits mit der Prämisse, dass der Mensch kein Recht hat, Tiere zu töten. Noch früher sprach sich Immanuel Kant gegen Tierquälerei aus und forderte eine bessere Behandlung von Tieren. Kants Begründung war jedoch anthropozentrisch, da er befürchtete, die schlechte Behandlung von Tieren zu einer Verrohung des Menschen gegenüber seinen Mitmenschen führe und damit die Pflichterfüllung ihnen gegenüber gefährde.
Das Verhältnis zum Tier, zur Fleischproduktion und zum Fleischkonsum verändert sich heute. In Teilen der Gesellschaft findet aus unterschiedlichen Gründen eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Ernährungsweise zugunsten des Tierwohls statt.
Abschließend stellt Eve-Marie Engels vier ethische Grundpositionen im Verhältnis zur belebten und unbelebten Natur vor
, die sich in ihrer Antwort auf die Frage unterscheiden, welche Wesen um ihrer selbst willen schützenswert sind:Die Anthropozentrik: Diese geht davon aus, dass nur der Mensch um seiner selbst willen schützenswert ist.
Die Pathozentrik: Nach dieser sind nur empfindungsfähige Lebewesen um ihrer selbst willen schützenswert sind.
Die Biozentrik: Diese von Albert Schweitzer massgeblich geprägte Position beinahltet, dass Lebewesen um ihrer selbst willen schützenswert sind. Pflanzen sind explizit eingeschlossen.
Die Physiozentrik/Holistik: Diese erachtet die gesamte, belebte und unbelebte Natur als schutzwürdig.
Eve-Marie Engels wünscht und hofft in der Gesellschaft eine stärkere Unterstützung der Position, dass Tiere um ihrer selbst willen schützenswert sind und „nicht nur, weil sie gut in die Pfanne passen.“ Sie wünscht mehr Respekt vor Tieren als Mitlebewesen. Und „wenn Tiere sprechen könnten, dass die Tiere auch sagen könnten: ‚Die Menschen sind unsere Mitlebewesen und wir behandeln sie pfleglich‘“
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Agrarpolitik - der Podcast
Agrarpolitik wird von vielen Menschen umgesetzt und gemacht: von Landwirtinnen und Landwirten, von Verbandsvertreterinnen und -Vertretern, vom Bundesrat, von Parlamentarierinnen und Parlamentariern.
Im Agrarpolitik-Podcast beleuchten wir die Entwicklungen, zeigen Ansprüche und Handlungsachsen. Wir fragen nach - und hören zu und machen Agrarpolitik verständlich.
Wir sind: Sie, unsere Gäste, Andreas Wyss (Gespräche), Lisa Nagy (Social Media), Louisa Wyss (Webinare) und Hansjürg Jäger (Produktion).
Diese sind die Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung, die Freiheit von Unbehagen, die Freiheit von Schmwerz, Verletzung und Krankheit, die Freiheit von Angst und Leiden sowie die Freiheit zum Ausleben normalen Verhaltens.
Über eine Pathozentrik hinausgehend vertritt Eve-Marie Engels eine Biozentrik und damit die Annahme, dass nicht nur Tiere, sondern alle Lebewesen um ihrer selbst willen schützenswert sind. Vertreter der Biozentrik und ihrer Positionen stellt sie in ihrem Artikel „Biozentrik“ im Handbuch Umweltethik, Hrsg. von Konrad Ott, Jan Dierks und Lieske Voget-Kleschin (Hg), Stuttgart, J. B. Metzler 2016, S. 161-168, vor.