Agrarpolitik mit Martin Pidoux: «2030, das ist morgen. Die Zeit drängt.»
Unser heutiger Gast erläutert die zwei Ebenen des Postulatsbericht des Bundesrates, äussert sich zur Reform des Bodenrechts und macht einen Ausblick auf die Ernährungspolitik ab 2030.
15. Oktober 2022 | Staffel 7, Episode 1
👋 Guten Morgen und herzlich Willkommen zur siebten Staffel Agrarpolitik – der Podcast.
Die neue Staffel beleuchtet, was Ernährungssicherheit durch Nachhaltigkeit von der Heu- bis zur Essgabel bedeuten kann. Diese Stossrichtung formulierte der Bundesrat bei der Beantwortung der Kommissionspostulate, die im Zuge der Sistierung der Agrarpolitik 2022+ in Auftrag gegeben wurde.
Der Bericht zeigt, dass es in der langfristigen Ausrichtung kaum Differenzen gibt. Deshalb untersuchen wir in dieser und den nächsten Folgen die Wege der Umsetzung – sowohl auf politischer Ebene wie auch innerhalb der Wertschöpfungsketten.
Den Auftakt macht Martin Pidoux. Der Agrarökonom ist Dozent für Agrarpolitik und Agrarmärkte und lehrt an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften in Zollikofen. Mit Andreas Wyss redet über den Postulatsbericht und mehr Mut für offene Debatten.
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Der erste Eindruck
«Ich habe mich gefreut auf diesen Bericht» Er habe den Bericht mit Freude gelesen, die Erwartungen an den Bundesrat waren hoch. Es war schon ein wichtiges Dokument, weil es die Grundlage für die Ziele der Agrarpolitik ab 2025 bildet.
Realpolitik und grosse Ziele
Im Postulatsbericht gibt es zwei Ebenen, sagt Pidoux. Realpolitik und grosse Ziele. In der Realpolitik geht es darum, wie man den Prozess umsetzen könnte. «Die Antwort mit drei Etappen ist ziemlich schlau formuliert», findet Martin Pidoux. Die kurzfristigen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Parlamentarischen Initiative 19.475 wurden aufgenommen. Das ist eine wichtige Etappe, die Landwirte merken bereits die ersten Massnahmen, die «ziemlich kurzfristig umgesetzt werden müssen ab Januar 2023.» Der Druck der Bevölkerung bezüglich der Pflanzenschutzproblematik ist gross.
«Die Antwort mit drei Etappen ist ziemlich schlau formuliert»
In der mittleren Etappe werden die wenig problematischen Elemente der AP22+ aufgenommen. Pidoux zählt die soziale Absicherung oder die Teilnahme des Bundes an der Ernteversicherung auf. «Die Punkte, die etwas kritisch sind – etwa die Gewässerschutzgesetz-Anpassung oder das Bäuerliche Bodenrecht, liess man etwas auf der Seite».
«Das 3-Etappen-Modell ist gut, aber es gibt noch viel Arbeit»
Die Dritte Etappe ist die Entwicklung der Ernährungspolitik. Die Erwartungen und Ziele an die dritte Etappe sind sehr hoch, die Massnahmen und Methoden jedoch noch unklar. Das 3-Etappen-Modell ist gut, aber «es gibt noch viel Arbeit für Entwicklung der Agrarpolitik ab 2030», sagt Pidoux.
Der Ständerat wird voraussichtlich in der Wintersession die AP 22+ - oder das, was davon noch übrig ist – beraten. «Politik ist manchmal etwas laut, es braucht viele Gespräche und man sucht einen gemeinsamen Weg. In diesem Sinn ist das Dokument wichtig, auch wenn wir schon vor zwei Jahren diesen Schritt hätten gehen können», sagt Pidoux. «Aber es ist klar, die Etappen 1 und 2 sind nichts anderes als die Umsetzung der Agrarpolitik 2022+ light – es gibt nicht viel Neues», meint Pidoux.
Riskante Strategie: Diskussion rund um Bodenrecht gehört gemäss Bundesrat nicht zur Agrarpolitik
Dass die Anpassung des Bodenrechts nicht im Rahmen der Agrarpolitik zu beraten sei, das ist aus Sicht Pidoux «Realpolitik.» Komplexere Themen werden ausgelassen und man sucht mehrheitsfähige Massnahmen, um vorwärts zu gehen. «Es ist aber auch eine ziemlich gefährliche Strategie. Für die künftige Generation der Landwirtinnen und Landwirte müssen wir auch Lösungen finden. Es ist manchmal etwas zu einfach, störende Themen einfach wegzuschieben», sagt Pidoux.
Die Diskussion zum Bodenrecht erinnert Pidoux stark an die 2017 verhandelte Gesamtschau zur mittelfristigen Entwicklung der Agrarpolitik. Diese hat darin geendet, dass das Parlament die Marktöffnung und die Agrarpolitik voneinander getrennt hat. Beim Bodenrecht wäre es gut, wenn das Parlament den Mut hätte, das Bodenrecht anzupassen. Aber «eine Reform des Bodenrechts ist sehr schwierig, denn die Nebenwirkung könnte viel schlimmer sein als das Ziel der Reform.» Das Bodenrecht wurde für die bäuerlichen Familienbetriebe geschaffen. «Heute gibt es neue Formen, Aktiengesellschaften, Teilzeitlandwirtschaft, junge Leute die kleine Ecken bewirtschaften – und für solche neuen Betriebe und Organisationsformen ist das bäuerliche Bodenrecht nicht optimal. Aus dieser Sicht wäre eine Überarbeitung angezeigt.»
Dass die Politik unbequeme Themen ausblendet, ist schade, die Debatte wäre wichtig, findet Pidoux.
«Für die Umsetzung gibt es keine Patentlösung»
Der Bericht legt die Richtung für die Entwicklung einer Ernährungspolitik ab 2030 dar. Dazu gehört auch der Aspekt der nachhaltigen Ernährung – «Und das hat direkt Auswirkungen für die Landwirtschaft und für die Produktion.» Es ist so gesehen ein erstes Mal, dass auch der Bundesrat anerkennt, dass Land- und Ernährungswirtschaft als System zu begreifen ist. «Das heisst aber nicht, dass man viel mehr produzieren und die Grenzen schliessen müsse», sagt Pidoux.
«Wir haben in der Landwirtschaft globale Probleme – Biodiversitätsverlust, Klimawandel, Ernährung. Aber wir können nicht eine globale Lösung einführen.»
«2030, das ist morgen», sagt Pidoux. Die Zeit dränge. Für die Umsetzung aber gebe es keine Patentlösung. «Wir haben in der Landwirtschaft globale Probleme – Biodiversitätsverlust, Klimawandel, Ernährung. Aber wir können nicht eine globale Lösung einführen.» Dass man Direktzahlungen kürzt und Landwirte in Richtung neue Massnahmen pusht, dieses System stosse an Grenzen, sagt Pidoux. «Ich denke, man sollte viel mehr Bottom-up arbeiten.»
Die Landwirte auf Betriebsebene müssten mehr Verantwortung erhalten, damit sie die Ziele von morgen erreichen könnten. «Mein Motto ist: mehr Verantwortung in der Branche, weniger Vorgaben von oben.»
«Die Natur ist komplex – und wer kennt die Natur am besten?» fragt Pidoux rhetorisch – und fügt an «es sind die Menschen, die auf den Feldern und in den Parzellen arbeiten.» Sie müssten befähigt werden, ihre Produktionssysteme zu entwickeln.
Mit Mut und Beharrlichkeit: Diskussion zur AP22+ soll vorwärts kommen
Der Druck auf die Landwirtschaft ist laut Martin Pidoux hoch – es gibt mehrere Volksinitiativen, die die Landwirtschaft betreffen. «Das zeigt, es gibt hohe Erwartungen in der Bevölkerung.» Das Klima wird an Bedeutung gewinnen – und man müsse etwas machen. «Irgendwann wird der Druck so hoch sein, dass sich die Agrarpolitik anpassen wird.»
Ausserdem wird auch deutlich, dass Massnahmen auf Produktionsebene an Grenzen stossen. «Wir wissen, dass Nachhaltigkeit die ganzen Ernährungssysteme betrifft. Hier sind auch alle Akteure der Kette bis und mit Konsumentinnen und Konsumenten verantwortlich. Die Politik müsste hier auch mithelfen. Aber hier haben wir noch wenig Erfahrungen. Wir haben viel weniger Erfahrung im Bereich der Ernährungspolitik.»
Martin Pidoux wünscht sich für den Prozess der Agrarpolitik 2022+, dass die Diskussion vorwärts geführt wird – auch mit Mut, die schwierigen Themen zu besprechen. «ich beobachte nämlich viel Einigkeit: alle wollen gesunde Nahrungsmittel produzieren und konsumieren. Es gibt aus diesem Grund schon Wege für die künftige Agrarpolitik.»
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Agrarpolitik - der Podcast
Agrarpolitik wird von vielen Menschen umgesetzt und gemacht: von Landwirtinnen und Landwirten, von Verbandsvertreterinnen und -Vertretern, vom Bundesrat, von Parlamentarierinnen und Parlamentariern.
Im Agrarpolitik-Podcast beleuchten wir die Entwicklungen, zeigen Ansprüche und Handlungsachsen. Wir fragen nach - und hören zu und machen Agrarpolitik verständlicher, zugänglicher.
Wir sind: Sie, unsere Gäste, Andreas Wyss (Gespräche), Lisa Nagy (Social Media), Louisa Wyss (Webinare) und Hansjürg Jäger (Produktion).
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