Agrarpolitik mit Ruedi Zweifel: "Wir brauchen die Politik als Begleiterin, nicht als Taktgeberin"
Ruedi Zweifel erklärt, warum Höchstbestände agrarpolitisch hergeleitet wurden, warum es die ideale Gruppengrösse nicht gibt, und warum heute nur noch wenig Poulets regelmässig auf der Weide sind.
15. Januar 2021 | Staffel 5, Folge 1
👋 Guten Morgen und willkommen zur fünften Staffel Agrarpolitik – der Podcast✨
Bevor wir starten, kurz zur fünften Staffel: Das Schweizer Stimmvolk wird bald über die Massentierhaltungs-Initiative abstimmen. Die Initiative verlangt mehr Auslauf und mehr Liegeflächen, kleinere Gruppen- und Bestandesgrössen, schärfere Importrestriktionen und eine Tierhaltung, die einem hohen Standard genügt (als Referenz dient der Bio-Landbau).
Schon jetzt wird deutlich, dass unter dem Brennglas des Abstimmungskampfes ein paar wenige und immergleiche Argumente übrigbleiben. Damit die vertiefende Debatte nicht zu kurz kommt, widmen wir uns in der fünften Staffel von Agrarpolitik – der Podcast deshalb dem lieben Vieh. Wir gehen der Frage nach, wie wir als Gesellschaft mit Tieren umgehen, welche Politik wir für Tiere machen und was eigentlich gut wäre - für uns und für die Tiere.
Auftakt macht Ruedi Zweifel, Direktor vom Geflügel-Kompetenzzentrum Aviforum in Zollikofen BE. Er erklärt uns, dass die Höchstbestände agrarpolitisch hergeleitet wurden, warum es die ideale Gruppengrösse nicht gibt, und warum heute nur noch wenig wenig Poulets regelmässig auf die Weide gehen (das war früher besser). Hier geht’s direkt zum Podcast, unten zu den wichtigsten Aussagen.

Das Huhn ist ein Untergehölz-Tier
„Geflügel lebt natürlich im Untergehölz“, erklärt Ruedi Zweifel zum Auftakt der Diskussion. Dort ist es nämlich besser vor Raubvögeln und Raubwild geschützt und kann mit scharren und picken einfach Nahrung finden. Geflügel sucht sich in der Nacht eine erhöhte Stelle, „weil die Hühner, die am Boden übernachtet haben am Morgen gefressen waren“, so Zweifel.
Diesen Eigenheiten der Tiere will (und muss) die Tierhaltung entsprechen, damit das Huhn seine artgerechte Lebensart ausleben kann. „Wir bieten in unseren Ställen artgerechtes Futter und Wasser an, Sitzstangen für die Übernachtung, sowie einen geschützten Ei-Ablageplatz. Zudem bieten wir am Boden eine Fläche mit Einstreue, damit ein Huhn Staubbaden kann.“ Wie Ruedi Zweifel sagt, gelten diese Anforderungen in allen Ställen der Schweiz - sie sind Bestandteil einer artgerechten Geflügelhaltung.
Die optimale Gruppengrösse gibt es nicht
Bei der Diskussion über artgerechte Haltung gerät die Gruppengrösse immer wieder in den Fokus. „Es gibt Ansichten, dass es den Tieren nur in Tiergruppen bis 25 Tieren wohl ist – das stimmt aber nicht, auch in der Wildbahn nicht“, sagt Ruedi Zweifel. Er erklärt, dass bei Gruppen von bis zu 150 Tieren der Aufbau einer hierarchischen Struktur beobachtet werden könne. „Darüber hinaus bricht die Hierarchie aber wieder auf“, so Zweifel. Was bleibt sind Teilgruppen, mit Hähnen, die zwischen acht und 15 Hennen führen, die sich wiederum manchmal anderen Gruppe anschliessen. Dasselbe Verhalten sei auch in der Wildbahn zu beobachten, erklärt Zweifel.
„Wir brauchen die Politik als Begleiterin, nicht als Taktgeberin.“
Die Höchstbestände bei Geflügel sind folglich nicht in der Tierhaltung, sondern agrarpolitisch begründet. Zweifel sagt dazu: „Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage für die Definition der idealen Gruppengrösse.“
Die Geflügelzeitung hat die Geschichte aufgearbeitet und zeigt schön, wie sich die Regulierung der Tierbestände entwickelt hat.
Tierhaltende, Konsumenten_innen und Politik: alle spielen eine Rolle
Wie gut es den Tieren auf einem Betrieb geht, ist vom Tierhalter und seiner Familie abhängig, sagt Ruedi Zweifel. Er verweist auf eine deutsche Studie, die diesen Zusammenhang aus soziologischer Sicht beleuchtet und zeigt, dass Tierwohl und Wohl des Betriebsleiters sehr eng zusammenhängen.
Der Politik spricht Ruedi Zweifel eine begleitende Rolle zu: „Wir brauchen die Politik als Begleiter, nicht als Taktgeber.“ Das Tierschutzgesetz schafft den Rahmen für die tiergerechte Haltung von Nutztieren. Wichtig ist das Gesetz nicht nur für die roten Linien, sondern auch für das Vertrauen. Seit 1981 das Tierschutzgesetz eingeführt wurde, könne beobachtet werden, dass die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten den Schweizer Produzentinnen und Produzenten und ihren Produkten die Stange halten, sagt Zweifel.
„Es nützt nichts, ein theoretisch optimales Produkt anzubieten, das niemand kauft.“
Die Branche selbst ist laut Ruedi Zweifel darauf angewiesen, dass Konsumenten/innen die Schweizer Produkte zu einem kostendeckenden Preis kaufen. Folglich ist die Nachfrage ein wichtiger Treiber für die Entwicklung der Produktionssysteme.1
Für alle Bedürfnisse sind Produkte am Markt erhältlich
Kritik muss die Geflügelfleischbranche vor allem für den tiefen RAUS-Anteil von lediglich acht Prozent bei Poulets einstecken. Einerseits ist das Huhn kein Weide-Tier (siehe oben), andererseits hat sich die Regulierung verändert. Zwischen 1993 und 2000 kannte die Agrarpolitik nämlich die kontrollierte Freilandhaltung. In jener Zeit erreichten Freilandpoulets einen Marktanteil von bis zu 30 Prozent.
In der Entwicklung des Standards wurde dann 2002 für die Freilandhaltung die Regelung übernommen, dass Mastpoulets mindestens 56 Tage alt werden müssen. In der Folge wurde das Pouletfleisch markant teurer, die Konsumentinnen und Konsumenten wichen auf Fleisch aus besonders tierfreundlicher Stallhaltung aus.
Die Betrachtung dieser Entwicklung führt Zweifel zur Aussage: „Es nützt nichts, ein theoretisch optimales Produkt anzubieten, das niemand kauft.“ Das Beispiel Bio-Poulet zeigt das recht gut: lediglich knapp 3 Prozent des Schweizer Geflügelfleisches kann in Bio-Qualität verkauft werden, obwohl es jeden Tag in der ganzen Schweiz im Angebot ist. Ruedi Zweifel ist deshalb auch vorsichtig, was Importe betrifft.
Würden die Anforderungen an die Schweizer Tierhaltung zu stark erhöht, umso eher würden Konsumentinnen und Konsumenten auf Einkaufstourismus oder Importprodukte ausweichen – und verlieren alle. Am meisten die Schweizer Poulets…
Soviel für den Moment von uns. 🙏 Danke fürs Interesse, schönes Wochenende 👋 und frohes Podcast-Hören 😀.
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Das Dossier zur Gentechnik-Debatte
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Agrarpolitik - der Podcast
Agrarpolitik wird von vielen Menschen umgesetzt und gemacht: von Landwirtinnen und Landwirten, von Verbandsvertreterinnen und -Vertretern, vom Bundesrat, von Parlamentarierinnen und Parlamentariern.
Im Agrarpolitik-Podcast beleuchten wir die Entwicklungen, zeigen Ansprüche und Handlungsachsen. Wir fragen nach - und hören zu und machen Agrarpolitik verständlicher, zugänglicher.
Wir sind: Sie, unsere Gäste, Andreas Wyss (Gespräche), Lisa Nagy (Social Media), Louisa Wyss (Webinare) und Hansjürg Jäger (Produktion).
Die starke Nachfrage unterstützt die Entwicklung - Produktionsmengen und -Werte sind in den letzten Jahren mehr oder weniger kontinuierlich gestiegen.
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