Agrarpolitik - der Podcast
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Agrarpolitik mit Bettina Dyttrich: "Wie kann die Landwirtschaft ohne fossile Energie funktionieren?"
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Agrarpolitik mit Bettina Dyttrich: "Wie kann die Landwirtschaft ohne fossile Energie funktionieren?"

Journalistin Bettina Dyttrich schreibt über die Landwirtschaft, weil sie eine Position sucht, mit der sie einverstanden sein kann. Ein Gespräch über Bauern, Medien, Politik und die Frage: wie weiter?

5. Juni 2021| Staffel 3, Folge 2

“Ich bin sehr stark mit dem Gefühl aufgewachsen, dass die Umwelt bedroht ist”, sagt Bettina Dyttrich. Im Radio hörte sie vom Reaktorunglück in Tschernobyl, vom Waldsterben und dem Chemieunfall in Schweizerhalle.

Heute schreibt die Journalistin und freie Autorin für die Wochenzeitung WOZ über Agrarzukunft, umstrittene Initiativen, Klimawandel das CO2-Gesetz und gesellschaftspolitische Themen. Den Auftrag dazu hat sie sich selbst gegeben. Sie folgte den agrarpolitischen Debatten der frühen 00er-Jahre und war weder mit der Position des Bauernverbandes noch jener der von Peter Bodenmann geprägten SP wirklich zufrieden. “Das hat mich dazu motiviert, herauszufinden, was eine Position wäre, mit der ich einverstanden bin - und das war gar nicht so einfach.”

Für ihren Artikel “Angeklagt: Kuh, Schaf und Geiss” erhielt sie 2017 den Medienpreis des Bauernverbandes. Ein Gespräch über Wiedersprüche in der Agrarpolitik, den Einfluss der SVP auf den Bauernverband, Klimanotstand und die Berichterstattung über die Landwirtschaft.

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Bettina Dyttrich ist Redaktorin der Wochenzeitung WOZ und freie Autorin.

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Kurze Wege fördern, nicht Exporte

Bettina Dyttrich kritisiert die grundsätzliche Ausrichtung der “offiziellen” Agrarpolitik von Bund und Parlament schon länger. Sie verstehe nicht, warum in ein Land mit einer so hohen Kaufkraft wie die Schweiz und ökologisch bewussten Konsumenten_innen die Exporte fördern wolle, wenn der Netto-Selbstversorgungsgrad im Inland gerade bei 50% liegt. “Wieso soll man nicht sagen, der beste Markt ist zu Hause und man versucht noch viel mehr und stärker auf kurze Wege zu setzen” fragt Dyttrich.

“Wieso soll man nicht sagen, der beste Markt ist zu Hause und man versucht noch viel mehr und stärker auf kurze Wege zu setzen”

Die agrarpolitische Verbindung von Markt und Ökologie hat sich laut Dyttrich in den 1990er-Jahren aufgedrängt. Dass davon ausgehend aber Liberalisierung der Märkte und Ökologisierung der Produktion so stark verbunden werde, sei eine helvetische Eigenart, “und das führt immer zu Widersprüchen.”

Die Sistierung der Agrarpolitik 2022+ “hat etwas von Aussitzen”

An Widersprüchen ist auch die Agrarpolitik 2022+ gescheitert. Zwar versteht Bettina Dyttrich die Kritik an den kurzen Etappen und fände eine sorgfältige Reform alle acht oder zehn Jahre gerechtfertigt, die Sistierung hat sie aber trotzdem überrascht.

“Die Lösung der Probleme wird jetzt einfach auf später verschoben.”

Die Agrarpolitik 2022+ ist aus ihrer Sicht nicht perfekt - aber die Blockade findet sie kontraproduktiv: “Das hat etwas von Aussitzen. Die Lösung der Probleme wird jetzt einfach auf später verschoben.” Dyttrich selbst sagt rückblickend, dass sie die Reform mehr verteidigt hätte, “wenn ich gewusst hätte, wie heftig das jetzt wird.”

Die Sistierung der Agrarpolitik sorgt für eine weitere Polarisierung der Debatte über die Entwicklung der Landwirtschaft und ihrer Politik. In ihrem Umfeld gäbe es zwar Stimmen, die diese Entwicklung begrüssen. Dyttrich macht sich eher Sorgen: “Auf der persönlichen Ebene der Menschen die sich engagieren gehen gerade Beziehungen kaputt. Das halte ich nicht für produktiv” sagt sie.

Polarisierung: alle spielen eine Rolle und alle spielen mit

Wo und wann die Polarisierung der Debatte begonnen hat, kann Dyttrich nicht genau festmachen. Die bundesrätliche Gesamtschau zur mittelfristigen Weiterentwicklung der Agrarpolitik war aber ebenso ein Teil der Polarisierung, wie die Agrarlobby-Stoppen-Kampagne, der fehlende Gegenvorschlag zu den beiden Agrar-Initiativen und die Sistierung der Agrarpolitik.

“Der SBV ist ja nicht einfach ein Monolith, es gibt verschiedene Strömungen.”

Ausserdem gebe es noch die persönliche Komponente Beispielsweise, dass Franziska Herren die Bedenken der Bio-Bäuerinnen und Bauern bei der Ausarbeitung des Initiativtexts nicht berücksichtigt hat, oder dass bei Ritter das Gefühl entstehe, dass er den SBV-Hardlinern beweisen müsse, dass er hart bleiben könne. Dies ist umso bemerkenswerter, da es noch vor wenigen Jahren eine Annäherung des Bauernverbandes an Fairfood-Initiativen und andere eher linksgrüne Themen gab - zum Beispiel mit dem Jahresthema Fairer Handel 2018. “Das hat mich im Prinzip gefreut. Denn der SBV ist ja nicht einfach ein Monolith, es gibt verschiedene Strömungen.” sagt Dyttrich dazu.

In der agrarpolitischen Debatte gebe es mindestens vier Kräfte, die Einfluss geltend machen:

  • SVP und Schweizer Bauernverband: Der Einfluss der Partei auf den Bauernverband ist zwar hoch, aber nicht vollständig. Und die SVP sei in Landwirtschaftsfragen bedeutend polarisierter und “gegen jegliche ökologischen Fortschritte”, sagt Dyttrich.

  • Bundesrat und Bundesamt für Landwirtschaft: Die Agrarpolitik kann zwar nicht an einer Partei festgemacht werden, ist aber stark vom Mantra mehr Markt und mehr Ökologie geprägt - was zwangsläufig zu Wiedersprüchen führe.

  • Umweltverbände und die linken Parteien: Die Umweltverbände können mit Kampagnen die öffentliche Wahrnehmung prägen und stehen tendenziell der Grüne Partei nahe. Letztere sei durch Vertreter_innen, die in der Landwirtschaft tätig sind oder sich für das Thema interessieren deutlich näher an der Landwirtschaft als die SP, findet Dyttrich.

  • Die kleinen Organisationen am Rand: Ausserdem sorgen viele kleine Gruppen und Bewegungen für Dynamik - etwa Uniterre, die Kleinbauernvereinigung oder die Projekte der solidarischen Landwirtschaft.

Wie weiter? Mehr Agroforst, mehr Bodenschutz, weniger fossile Energieträger

Wie es nach dem 13. Juni weitergeht, ist noch unklar. Wie Dyttrich sagt, reicht es nicht, wenn man sich in der Mitte treffen. “Wir haben ja noch einen Klimanotstand, der geht neben der Pestiziddiskussion etwas vergessen.” Das heisst: es braucht Lösungen.

“Wie soll die Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung ohne fossile Energieträger funktionieren?”

Zwar hat der Pestizideinsatz einen Einfluss auf die Umwelt, sorgen Futtermittelimporte für Nährstoffüberschüsse. Für Dyttrich stellt sich aber noch eine andere Frage: “Wie soll die Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung ohne fossile Energieträger funktionieren?” Diese Frage werde in der AP 22+ nicht genügend thematisiert. Könnte sie für einen Tag Agrarpolitik machen, würde sie deshalb ein Programm lancieren, um die Landwirtschaft bis 2040 fossilfrei zu gestalten.

Dazu braucht es mindestens eine Annäherung aller Kräfte. Ob sie ausreicht, um agrarpolitisch einen Schritt weiterzukommen, sei mehr als fraglich. Nichts zu tun wäre aber das falscheste. Es lohne sich, in Agroforst und Bodenschutz zu investieren. Denn “es ist ja nicht so, dass die Welt übermorgen untergeht.”

Anklagende Berichterstattung schadet

“In der Schweiz wird die Landwirtschaft sehr oft negativ dargestellt - oder eben (…) idyllisch”. Das sagte Bettina Dyttrich 2016 an einem Referat unter dem Titel “Das Bild der Landwirtschaft in schweizer Medien.” Die Idylle wecke unrealistische Erwartungen, schafft aber keinen Anschluss an die Lebensrealität der Menschen.

Die Berichterstattung über die jüngsten Entwicklungen in der Landwirtschaft hält Dyttrich für problematisch. Beispielhaft sichtbar wurde das an der Berichterstattung über die Diskussionen zur Trinkwasser-Initiative bei Bio-Suisse.

Da heute auf den Redaktionen die ganze Bundespolitik inklusive Agrarpolitik von wenigen Personen abgedeckt werden müsse, fehlten oft die Ressourcen zur Vertiefung der Themen. Dabei könne das unglaublich grosse Interesse an der Landwirtschaft sehr produktiv sein. “Dann, wenn die Leute herausfinden wollen, wie das alles zusammehängt mit dem Rest der Wirtschaft, der Gesellschaft.”

Diese Folge wurde am 31. Mai 2021 aufgezeichnet.


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Agrarpolitik wird von vielen Menschen umgesetzt und gemacht: von Landwirtinnen und Landwirten, von Verbandsvertreterinnen und -Vertretern, vom Bundesrat, von Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Was politisch opportun ist, ist nicht immer richtig. Und was richtig ist, ist nicht immer politisch opportun. Im Agrarpolitik-Podcast gehen wir mit Ihnen auf die Suche nach einer besseren, schöneren, wirkungsvolleren und verständlicheren Agrarpolitik. Wir zeigen Entwicklungen, Lösungswege und Handlungsachsen.
Wir sind: Sie, unsere Gäste, Andreas Wyss (Gespräche) und Hansjürg Jäger (Produktion).

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